"In jedem Held wohnt eine Bestie" ... bei dem Wort Bestie habe ich zuerst auch gezögert, doch bezieht es sich wohl auf einen bestimmten Teil unseres Stammgehirnes, in dem die Bestie ruht. Diese Teil wir nur in Ausnahmesituationen aktiviert, im Krieg oder in menschlichen Beziehungsdramen.
Im Alptraum des Vietnamkrieges wachte die Bestie auf, ein schreckliches Beispiel, als sie schwangernden Frauen die Kinder aus dem Leib schnitt. Nach dem Vietnamkrieg haben mehr amerikanische Soldaten Selbstmord begangen, als im Krieg gefallen waren. Sie konnten im Normalzustand nicht mit den Erinnerungen leben, und mit ihren Taten.
Für die Menschen der Antike muss der Löwe in der Tat eine Bestie gewesen sein - ein wildes, furchterregendes Tier. Unter der Fauna des Nahen Ostens und zum Beginn der Antike wohl auch noch des östlichen Teils des europäischen mediterranen Raumes war der Löwe eines der wenigen Tiere die dem Menschen wirklich gefährlich werden konnten. Löwen waren Inbegriff von Gefahr, von zerstörerischer, urtümlicher Kraft.
Dennoch darf man den Löwen, denke ich, nicht als Symbol für das sehen, was Menschen dazu bringt solch gräuliche Taten zu begehen, wie dies in Vietnamkrieg und anderen Kriegen geschah oder wie dies in einigen Beziehungsdramen geschieht.
Ein Löwe stellt ob seiner Natur eine Gefahr dar, aber er tötet nicht aus Grausamkeit oder ohne einen Zweck. Und genauso glaube ich, liegt nicht in uns eine solche Bestie im Schlaf deren Natur es ist solche Gräuel zu begehen. Es gibt, da bin ich mir sicher, kein genetisches oder neuronales "Programm" dass zu derartigen Übel führt - vielmehr ist es doch wohl so, dass jene Menschen, die solche Dinge tun in Situationen sind, die eben ganz und garnicht der menschlichen Natur entsprechen, Situationen in denen wir dann völlig orientierungslos sind und für die wir nie vorbereitet wurden: Weder in unserer individuellen Geschichte noch Stammesgeschichtlich.
Situationen wie der Vietnamkrieg, in denen Feuer nicht nur sprichwörtlich vom Himmel regnet sondern ganz fassbar, in denen die Welt auf dem Kopf steht und aus den Fugen gerät und gänzlich aus dem Gleichgewicht kommt, sind doch, so denke ich, Ergebnis menschlicher Zivilisation und des Einsatzes unserer intellektuellen Fähigkeiten ohne einen Gedanken an die Verantwortung zu verschwenden, die mit dieser einhergeht. Sie sind nicht Produkt unseres tierischen Selbst, sondern unser höheren Denkfunktionen. Solche Situationen zerstören das Gleichgewicht und die Funktion unseres tierischen Selbst ebensowie die des mentalen Selbstes. Das hat Herakles auch schon hinter sich, schließlich hat er ja Frau und Kinder im Wahn erschlagen.
Der Löwe steht da doch für eine ganz andere, vorzivilisatorische Urgewalt und entgegen der planmäßig und überlegt auf das Zeil der Vernichtung ausgerichteten Zerstörungskraft des (modernen) Kriegs eine Kraft die auch immer von dem Menschen als eine Kraft erkannt wurde, die man respektieren kann und muss, die nicht nur zerstörerische Aspekte hat, sondern auch immer schützende und sogar kreative Aspekte beinhaltet. Sie ist eingebettet in Sinnzusammenhänge und grade nicht der Bruch derselben, der uns in sinnlosen, irrsinnigen, wahnsinnigen Situationen widerfährt.
Ich denke auch, dass ansonsten garnicht das Zueigenmachen der dem Löwen eigenen Kraft und seiner sonstigen Attribute durch Herakles möglich wäre. Er bezwingt und kontrolliert ja nicht allein den Löwen:
Im bezwingen des Löwens zeigt er, dass er an Kraft dem Löwen gleich, wenn nicht sogar überlegen ist. Auch im Tragen des Löwenfells wird klar, das Herakles sich die Eigenschaften des Tiers zueigen gemacht hat. Und letztlich verbietet Eurystheus Herakles den Zugang zu seiner Stadt, denn er fürchtet nun Herakles, so wie er zuvor den Löwen gefürchtet hat.
Herakles ist gradezu selbst Löwe geworden und als solch eine Urgewalt auch für andere zu erkennen. Natürlich heißt das nicht, dass sich Herakles nun in sinnloser Zerstörungswut und Grausamkeit verliert. Das ist aber eben, wie ich oben dargelegt habe, ja auch garnicht die Natur des Löwen, denke ich.
Herauszufinden, dass sein inneres Tier eben nicht das war, was zum Vorschein kam als er seine Familie erschlug, dass der Löwe nicht darauf lauert sinnlose Grausamkeit und Zerstörung über die Welt zu bringen, sondern eine Kraft ist, die in den Sinnzusammenhang des Kosmos eingebettet ist und sein muss ist denke ich elementarer Teil dieser Prüfung des Herakles.
LVX!
Mathetes414