Lieber Wilhelm,
das Ego ist die "Frageabteilung" unseres Verstandes. "Zeit" spielt für die Ewigkeit keine Rolle und die Befreiung vom Ego als künftiges Ereignis einzustufen, legt der Ewigkeit Grenzen auf, die sonst nicht existieren.
Buddha ging auf die Frage einmal ein, die auch Dich zu beschäftigen scheint: Müssten erst alle Lehren durchdacht, logisch verglichen, und mental aufgearbeitet werden, ist es nicht unwahrscheinlich, dass das Ego recht damit behält, der Weg sei "zu" schwierig. So scheint mir, Dein Verstand möchte zunächst ALLE Lehren erfassen und sich dann entscheiden.
Eine kleine Geschichte dazu:
Ein Räuber, der jahrzehntelang die Menschen erleichtert hatte, bekam ob seiner Taten ein schlechtes Gewissen und begab sich zu einem Meister. Da der Räuber das schreckliche Leiden erkannte, das er anderen Menschen verursacht hatte, sehnte er sich nach Wedergutmachung seiner unrechten Taten.
So sprach er zu dem Meister: "Ich bin ein Übeltäter und leide unter meinen Taten. Gibt es für mich einen Ausweg und was kann ich tun"?
Der Meister fragte ihn, was er denn gut könne.
"Nichts"!
"Aber irgendetwas musst Du doch gut können"?, entgegnete der Meister.
"Ich kann gut stehlen", fiel dem Räuber doch noch etwas ein.
"Ausgezeichnet", sagte der Meister. "Das ist genau das, was Du brauchst. Geh an einen ruhigen Ort und raube Dir alle deine Fragen, die Dich nicht weiterbringen. Nimm alle Deine Wahrnehmungen, stehle die Sterne und Planeten vom Himmel und löse sie in der Leerheit auf, dem allumfassenden Raum der Natur des Geistes".
In nur 21 Tagen fand der Räuber Befreiung und wurde später zu einem der großen Heiligen.
Es wird gesagt, in alten Zeiten gab es Meister und Schüler, die so empfänglich und entschlossen waren wie der Räuber. Sie konnten Befreiung erlangen, indem sie einer einzigen Anweisung mit unerschütterlicher Hingabe Folge leisteten. Wenn wir unseren Geist nur einer wirkungsvollen Weisheitsmethode widmen und konsequent mit ihr arbeiten, besteht auch heute eine ganz reale Möglichkeit für uns, die Befreiung von der Frageabteilung unseres Verstandes zu erlangen.
So wäre der zerstärerische Zweifel vom edlen Zweifel zu trennen. Der edle Zweifel ist vergleichbar mit einem Menschen, der GOLD auf seine Echtheit prüft. Der zerstörerische Zweifel ist nicht mehr als der Versuch des Egos, sich vor der Wahrheit abzuschotten und so viele scheinbar verschiedene Wahrheiten sieht, dass kaum Vertrauen und Hoffnung auf Verständnis aufkeimen kann,
Klar kannst Du gerne alle Traditionen auf einmal lernen, ich persönlich verstehe Blavatski nur schwer, da mir der kulturelle Hintergrund fehlt. Die alten Ägypter sind auch für mich faszinierend, doch es wird unheilmlich schwierig, alle Lehren gleichzeitig aufzunehmen. auch und gerade, weil unterschiedliche Herangehensweisen, Definitionen, Begriffe und Verknüpfungen benutzt werden.
Wenn Du all "das" zusammenbastelst, ist dieser Weg zumindest ganz sicher der Umfassendste und steht Deinem Wunsch nach baldiger Befreiung im Weg. Wer möglichst schnell Schutz und Befreiung für sich und andere sucht, sollte das heilige Geheimnis üben: Den Austausch von "Ich" und "Andere".
Es gibt einzig ein geeintes SELBST. Andere sind den Weg vor unsgegangen und wir könnten diesem Beispiel folgen. Doch wir können nicht gleichzeitig allen gegangenen Wegen folgen.
Das Höhere SELBST, das wir suchen, ist in jedem Menschen eins. GOTT ist eins mit seiner SCHÖPFUNG, weil WIR die GEDANKEN sind, die GOTT von uns unentwegt hegt und pflegt.
Welche Grenzen wollen wir GOTT durch unsere Zweifel auferlegen?
Es wäre hilfreich, sich an die vier Verlösslichkeiten zu erinnern:
1. Verlass dich auf die Botschaft des Lehrers und nicht auf persönliche Urteile über Dinge, die wir noch lernen wollen.
2. Verlass dich auf den Sinn seiner Worte und nicht auf die Worte allein.
3. Verlass dich auf die letztendlich zu erlernende Bedeutung und nicht auf eine vorläufige und veränderliche Beurteilung.
4. Verlass dich auf den Weisheitsgeist deines Höheren Selbst und nicht auf den gewöhnlichen und in noch Unkenntnis urteilenden Geist.
So möchte ich noch auf Deine Fragen eingehen, indem ich Dich darauf hinweise, dass Du sie Dir selbst beantwortet hast.
Wenn GOTT alles ist, was ist, welchen Grund gäbe es, IHN nicht in allen Facetten SEINES SELBST bedingungslos so zu lieben, wie GOTT ist? Das SELBST von selbst in uns Selbst es selbst sein lassen, findet sich in den Lücken zwischen unseren Gedanken. GOTT im Denken zu finden, ist möglich. GOTT in den Lücken zwischen den Gedanken zu finden, macht es hingegen unnötig, ALLE Lehren erst zu verstehen, zu vergleichen und sich dann für einen Weg zu entscheiden.
Aus Sicht der Ewigkeit ist ein glücklicher Ausgang aller Dinge gewiss. Wieviel Zeit wir uns dafür nehmen wollen, ist unsere Entscheidung. Was die Schau oder Sicht des SELBST ausmacht, sie ist höher als die Vernunft und es gibt einen Frieden, den nur GOTT uns (durch das HÖHERE SELBST) verleiht. Ist dieser Frieden spürbar, sind wir auf dem richtigen Weg. Ist Verwirrung und Konfusion im Zweifel wirksam, glauben wir nicht daran, GOLD zu prüfen.
Die Prüfung, welcher Weg Dich zu Frieden führt, macht aus dem Gold in unserer Hand einen Supermarkt aus verschiedenen Lehren, die im Grunde ihres Wesens immer GOTT als Ziel sehen. Die Wege mögen am Anfang "unterschiedlich" wirken, am Ende führen alls Fäden in der Ewigkeit zum von GOTT bestimmten Ergebnis. Denn: Wenn es, wie Du sagst, einzig GOTT gibt, wo sollte ein "fremder Wille" wirksam sein? Nur in unserem veränderlichen Geist kann daher ein "fremder Wille" auftauchen. Oft hält uns dieser Wille dann davon ab, das zu lernen, was GOTTES WILLE für uns alle ist: Vollkommenes Glück. Dieses selektiv und partiell zu betrachten, scheint mir nicht möglich.
Ein Wille, der dem Willen GOTTES entgegenstünde, würde eine "geschwächte Macht" bedeuten, was erst Dualität erkennbar werden lässt. Wo Dunkelheit wirklich schien, schauen wir auf das Licht.
Wenn dem Ego alle Fragen und Zweifel gestohlen werden, bleibt die Gewissheit zurück.
P.S.: Die Weisheitsgeschichte ist aus einer Rezension über das Tibetanische Totenbuch. Ich habe das Original gelesen, doch erst die Erklärung verstanden, die für uns "Westler" von Sogyal Rinpoche dazu gegeben wurde. Der Autor schreibt selbst, dass es ohne den entsprechenden kulturellen Hintergrund kaum möglich ist, diese Lehre (im Westen) zu verstehen.
Es ist nicht unmöglich, doch es erleichtert das Lernen nicht wirklich, ALLES sofort aufnehmen zu wollen. Lernen bedeutet immer die Erkenntnis, etwas noch nicht zu wissen.
Vielleicht beantwortet dies den Hintergrund Deiner Fragen.
Licht, Liebe und Gewissheit,
Michael