Hallo Philip,
um es kurz zu machen: Sünde ist kein Terminus des Judentums, auch nicht des Islams. Du wirst dort zwar Worte für "Fehler" (genauer: Verfehlungen) gegenüber Gott finden (im Judentum wäre es beispielsweise "bundesbrüchig werden"), aber nichts was Sünde genuin entspricht.
Die Augustinusreferenz von dir stimmt zwar, aber eben nicht ganz. Aus folgenden Gründen ist die Behauptung zu Augustin von Hippo meines Erachtens nicht ganz korrekt:
a) Erstens kennt Augustinus auch das Fegefeuer (ein Ort zeitlich begrenzter Qual)
b) Zweitens hängt es NICHT allein von den Sünden ab wohin man kommt, sondern von Gottes Gnade. Augustin beschreibt den Menschen als fundamental von Gott entfernt - deswegen ist er ja auch auf eine erste Bewegung Gottes angewiesen. Man kommt also nicht primär wegen zeitlicher Sünden in die Hölle, sondern wegen der Beziehung zu Gott. Hier sei an das iroschottische Mönchtum erinnert mit der Differenzierung in zeitliche und ewige Sünden. Dies kommt expressis verbis auch bei Augustinus vor.
c) Die Hölle ist ein Gegensatz zum Himmel, nicht aber ein gleichwertiger Gegensatz zu Gott. Gott kann ja (vergleiche Dantes "Divina comedia" und Augustins eigene Berichte) aus der Hölle erlösen. Also ist die Hölle definitiv kein gleichmächtiges Gegenüber!
Um es provokant zu formulieren: Sünde gibt es dem Sinngehalt nach in erster Linie in der populären Esoterik. Dort werden Schicksalsschläge, Krankheiten und vieles mehr auf eigenes Fehlverhalten und noch häufiger "Fehldenken" zurückgeführt (meist als Trivialversion des Karmas). Und in vielen Büchern wird auch von einer besonders sprirituellen Gruppe im Gegenüber zu einer alten verfallenden Welt gesprochen. Ja, es gibt dort regelrechte Sündenbücher, die mich an lateinische Poenitentienbücher der ersten Kloster des angelsächsischen Raumes erinnern. Was ich mit dieser Zuspitzung nochmals sagen will: Ich finde es grundsätzlich fraglich einer so alten Religion (gleiches gilt auch für andere Religionen) mit so vielen herausragenden Denkern eine so einfache Haltung zu unterstellen. Meist neigen eher jüngere Bewegungen zu recht unreflektierten Annahmen (neue christliche charismatische Bewegungen in den USA, New-Age-Esoterik usw.).
Du behauptest: "Aber Fakt ist, dass Menschen genau das unter dem christlichen Banner gepredigt haben" Wer genau? In welcher Schrift? Zu welcher Zeit und bei welchem Ereignis? Natürlich gab es das in der Geschichte des Christentums. Ich frage aber: War das die bestimmenste Strömung, die sich durchgesetzt hat? Oder die besonders lange vorhielt? Ich sehe das lediglich in der Zeit eines agelsächsischen Mönchtums, eines gewissen Volksglaubens (übrigens entgegen dem klassischen Vorurteil nicht primär im Mittelalter! - Hexenverfolgung und das Mariendogma [19Jh.] sind Angelegenheiten der Neuzeit) und vereinzelter Kirchenlehrer. Die Kreuzzüge wären übrigens dafür die schlechteste Referenz. Aber darauf werde ich dann eingehen, wenn das Argument kommt ;)
"Aber ich bezweifel, dass die Römer unter dem Banner der Kirche ihre
sexuelle Freizügigkeit und ihr wilden Orgien in dem Maße ausgelebt
hätten ;-)" - das ließe sich sehr leicht historisch mit einigen mittelalterlichen Königshöfen widerlegen. Aber in der Tendenz hast du recht: Das Christentum wendete sich tendenziell für die monogame Ehe und die Aufwertung der Frau gegenüber zweitrangigen Nebenfrauen (im Sklavenstatus) in vielen germanischen Stämmen. Aufwertung bedeutet nicht, dass es Frauen gut ginge. Aber gegenüber einem vorherigen Sklavenstatus muss man von einem Fortschritt sprechen. Im Übrigen: Das Christentum hängt historisch eng eng mit römischen Mysterienkulten zusammen und hat damit interessante Parallelen (u.a. Mithrasmysterien).
Du schreibst: "Ich denke nicht, dass ein naturverbundenes Leben immer einen
animalischen Glauben bedeudet, aber sehr wohl das er eine Gesellschaft
dahingehend prägt." Mag sein. Interessanterweise wenden sich heute (und auch im römischen Reich) gerade viele Menschen Naturkulten zu. Warum?